Züchtung von Unterlagen und Sorten
Entwicklung kleinkroniger Kirschbäume
Zeittafel | Entwicklung kleinkroniger Kirschbäume | ||||
200 n. Chr. | Ursprungsgebiete der Prunus cerasus-Unterlagen an der Donau zwischen Regensburg und Passau, an der unteren Isar bei Landau und bei Rosenheim. Dort möglicherweise seit der Römerzeit heimisch und seither einem natürlichen Selektionsprozeß unterworfen. | ||||
1900 | Von Praktikern und Fachleuten mit Sauerkirsche an den Standorten Donau, Isar und Chiemgau veredelt. Somit praktische Vorselektion von 1900 bis 1965 | ||||
1960 | Systematische Sammlung im Institut für Obstbau der TU-München (Weihenstephan), insgesamt 18 Klone | ||||
1965 | erste Selektionsversuche mit Süßkirschen - als Zwischenveredlung - als Unterlage | ||||
1970 | Beobachtung von Wuchsreduktion und hoher Fruchtqualität | ||||
1975 | Rückschläge durch verzögerte Veredlungsunverträglichkeit | ||||
Hybridi-sierung mit strenger Selektion | Feldver-suche in der Praxis | physiologische Untersuchungen | |||
1976 | W11er-Absaaten 1. Generation | histolog. | in vitro-Test | biochem. | |
1980 | Prüfung auf Unterlagen-eignung mit Marken*-sortiment, Erprobung im praktischen Anbau an insges. 30 Standorten im Raum Forchheim in Zusammen-arbeit mit Kreisfach-berater Tobias Vogel | Ver-wachsungs-störungen unge-nügende Gewebe-differen-zierung (kallus-artig) | Kallus-kulturen | Abstoßungs-reaktionen, Mechanis-mus der Braun-färbung, Enzym-aktivitäten, Phenol-anreicher-ung | |
1985 | 2. Generation | Blatt-symptome | Unter-suchung der Phenol-biosynthese | ||
1988 | Blatt-scheib-chen, Zell-kulturen | Membran-schädigung | |||
1992 | Hybridi-sierung mit Süß-kirschen | Cytokinin/ Gibberellin-Hypothese |
Die kleinkronige Süßkirsche aus Weihenstephan
Süßkirschen bilden außerordentlich große Kronen und benötigen eine sehr lange Anlaufzeit (10-15 Jahre Jugendphase) bis zur Vollernte. Die Behandlung großer Bäume erfordert extrem viel Handarbeit. Anbau und Schnittmethoden oder ein Einsatz von Wachstumsregulatoren führen, wenn überhaupt, nur zu einem zeitlich befristeten Erfolg. Das Beispiel des Apfels zeigt, daß das Wachstum der Edelsorten auf ein wirtschaftlich vertretbares Maß nur dadurch zu reduzieren ist, daß eine wuchsreduzierende Unterlage verwendet wird. 1965 wurde in Weihenstephan mit Selektionsarbeiten begonnen. In Niederbayern waren umfangreiche Vorkommen wurzelechter Formen von Prunus cerasus gefunden worden. Im Raum Landau, ist ein Typ mit der Bezeichnung Strauchweichsel weit verbreitet und zwar vorwiegend in Siedlungsnähe. Er wird heute wegen des nicht befriedigenden Fruchtgewichtes von etwa 2 bis 3 g kaum noch beachtet. Ob es sich dabei um eine heimische, eingebürgerte oder verwilderte Pflanze handelt, läßt sich nicht genau beantworten. Insgesamt konnten, dank der Mithilfe der Fachberater MAGERL, WADENSPANNER, LOOSE und WEINKAMM insgesamt 18 verschiedene Typen zusammengetragen werden. Von diesen 18 Typen waren 15 virusfrei. Lediglich die Herkünfte Nr. 4, 7 und 8 waren von Ringflecken befallen. Diese Strauchtypen zeichneten sich durch eine früh einsetzende hohe Blühwilligkeit aus. Sie fruchten regelmäßig am ein- und mehrjährigen Holz. Die bisher beobachtete Widerstandsfähigkeit gegenüber Krankheiten, Schädlingen und winterlichen Frösten könnte auf die natürliche Selektion und die kontinuierliche Weitergabe dieser Eigenschaften auf dem Weg über die Ausläuferbildung zurückgeführt werden. Neben dem Schwachwuchs erfüllten die Prunus-cerasus-Selektionen folgende wichtige Forderungen:
- Frosthärte und Widerstandsfähigkeit gegenüber einigen Krankheiten und Schädlingen
- Verträglichkeit mit einer breiten Sortenpalette von Sauer- und Süßkirschen
- früh einsetzende Erträge
- hohe spezifische Ertragsleistung bei gleichzeitig guter Fruchtqualität und Fruchtgröße
- Standfestigkeit (ausreichende Verankerung ohne Baumpfahl)
- geringe Ausläuferbildung.
Herkunft und Wüchsigkeit der verwendeten Prunus-cerasus-Typen
Typ | Herkunft (Landkreis) | durchschnittl. Wuchshöhe (m) von 4 verklonten Nachkommen der Originalbäume nach 10 Standjahren |
W 8 | Untere Isar | 2,89 schwach |
W 11 | Rottal | 2,95 schwach |
W 3 | Untere Isar | 3,18 schwach bis mittelstark |
W 5 | Untere Isar | 3,21 schwach bis mittelstark |
W 6 | Untere Isar | 3,28 schwach bis mittelstark |
W 4 | Untere Isar | 3,40 schwach bis mittelstark |
W 7 | Untere Isar | 3,44 schwach bis mittelstark |
W 2 | Untere Isar | 3,73 mittelstark bis stark |
W 17 | Untere Isar | 3,90 mittelstark bis stark |
W 14 | Untere Isar | 4,10 mittelstark bis stark |
W 15 | Untere Isar | 4,13 mittelstark bis stark |
W 10 | Rosenheim | 4,14 mittelstark bis stark |
W 12 | Untere Isar | 4,15 mittelstark bis stark |
W 9 | Untere Isar | 4,50 stark |
W 13 | Untere Isar | 4,18 mittelstark bis stark |
W 1 | Untere Isar | 4,85 stark |
W 18 | Bamberg | 4,98 stark |
Von den ursprünglich 18 Typen kristallisierten sich fünf als besonders wertvoll heraus. Das waren die Nummern 10, 11, 12, 13 und 14. Die inzwischen als Weiroot bekannten Unterlagen sind ohne Einschränkung für Sauerkirschen geeignet. Bevorzugt sollten die Typen 12 (besonders ertragreich) und 14 (Steigerung der Fruchtgröße) Verwendung finden. Die Typen 10 und 13 sind als Unterlagen für Süßkirschen geeignet. Die Erträge von aufgepropften Süßkirschensorten liegen zwischen 20 und 30% höher als bei Verwendung der üblichen Unterlagen (Prunus mahaleb und Prunus avium). Die Fruchtgröße ist normal. Bei der Herstellung von Pfropfkombinationen zwischen den Arten Prunus cerasus (Unterlage) und Prunus avium (Edelsorte) ist besonders auf Virusfreiheit der Edelreiser bzw. Edelaugen zu achten. Da Prunus cerasus im Herbst noch ein stärkeres Dickenwachstum aufweist, darf nicht zu früh veredelt werden. Andererseits muß eine ausreichende Frostbelastbarkeit erreicht werden. Gelegentlich beobachtete Schäden im Winter sind Veranlassung, auf Frühjahrsveredlung auszuweichen. Eine Veredlungshöhe von 30 - 40 cm hat sich bewährt, da eine spätere Wulstbildung im Veredlungsbereich keinesfalls mit dem Abgang von Leitästen zusammenfallen darf. Als Veredlungsverfahren haben sich Kopulation, Geißfuß und Chip-Budding bewährt. Bei Frühjahrsveredlung erreicht die Mehrzahl der Sorten eine ausreichende Trieblänge und bildet zum Teil auch vorzeitige Triebe.
Die bisher auf Veredlungsunverträglichkeit geprüften Sorten könne wie folgt beurteilt werden:
positiv | negativ |
Abels Späte | Basler Adler |
Badeborner | Bing |
Burlat | Brocken |
Büttners | Charmes |
Forchh. Maschen | Dönissens |
Fr. v. Meckenheim | Froschmaul |
Gr. Schw. Knorpel | Grolls Schwarze |
Haumüller | Maibigarreau |
Hedelfinger | Sam (gut auf W14) |
Kassins | Schauenburger |
Königskirsche | Schneiders |
Lamberts | Star |
Merton Bounty | Van |
Merton Glory | Werdersche Braune |
Merton Heart | |
Schmalfelds | |
Starking Hardy Giant | |
Teickners |
"Hedelfinger" auf Prunus-cerasus "Weiroot", Pflanzung Frühjahr 1967, Institut für Obstbau Weihenstephan
Unterlage Klon Nr. | Kronenausmaße Volumen (m³) | (Frühjahr 1974) Höhe (cm) | Erträge Summe (70-73) (kg) | Spezifische Erträge Ertrag (70-73) (kg) / Volumen 1974 |
W 10 | 14,3 | 260 | 49,29 | 3,45 |
W 11 | 7,1 | 215 | 15,45 | 2,18 |
W 12 | 15,6 | 300 | 21,81 | 1,58 |
W 13 | 21,0 | 270 | 65,20 | 3,10 |
W 14 | 2,7 | 155 | 6,20 | 2,30 |
Der Anfang hing an einem seidenen Faden
Plant man einen Anbauversuch, der die Testung des Unterlageneinflusses einschließt und das Ziel hat, neue wertvolle Unterlagentypen zu selektieren, so ist die erste Hürde, die Bereitstellung einer ausreichenden Zahl von Unterlagen. Die irgendwo gesammelten Wildarten werden also zunächst einmal aufgepflanzt mit dem Ziel, sie zu vermehren. Die bis heute praxisübliche Vermehrungsart ist die Vermehrung über Abrisse. So wurden also auch in Weihenstephan sämtliche Prunus-cerasus- Klone wie auch F 12/1 und Prunus-fructicosa-Typen aufgepflanzt und über Abrisse zu multiplizieren versucht. Bei den Prunus cerasus-Arten jedoch war der Erfolg sehr bescheiden und die ganze Versuchsplanung geriet ins Wanken, denn ohne ausreichende Zahl von Wiederholungen war ein Versuch nichts wert. Außerdem konnte man wohl kaum eine Unterlage empfehlen, deren Vermehrung dem Baumschuler übergroße Mühen abverlangt. So stand man also einigermaßen ratlos vor dem Unterlagen-Mutterpflanzenquartier, wollte die Pläne schon über Bord werfen und für die kommenden Jahre andere Versuche planen - Versuche, die die Unterlagenfrage für die Kirsche komplett vergessen ließen. Doch Experimentierfreudigkeit und der Reiz des Neuen, gepaart mit dem Gärtnertalent forderte Diplomgärtner SCHIMMELPFENG heraus. Er, der für die vegetative Vermehrung der sehr schwer vermehrbaren Heidelbeeren zuständig war und sie bereits bezwungen hatte, er werde doch wohl auch die Sauerkirschen-Keimlinge bezwingen können. Der Erfolg liegt heute auf der Hand. Nach einige Anläufen war es dann soweit: Für den ersten Unterlagenversuch der Sauerkirsche standen genug Sauerkirschenunterlagen (Prunus cerasus) zur Verfügung und waren in einheitlicher Qualität der Stolz des Instituts. Als solcher wurde er selbstverständlich jedem Besucher vorgeführt, so auch Herrn Kreisfachberater KREIBICH vom Landratsamt Forchheim. Da nun in der Fränkischen Schweiz der Sauerkirschenanbau keine Rolle spielt und man sich dort auf die Süßkirsche spezialisiert hat, ist es nicht verwunderlich, wenn Herr KREIBICH von dem Sauerkirschenversuch wenig begeistert war. Spontan schlug er vor, diese Unterlagen doch lieber für einen Versuch mit der Süßkirsche zu verwenden. Doch der mit Sauerkirschen bis in letzte Detail geplante Veredlungsversuch gestattete keine "Extrawurst", wenn da nicht in einer Ecke noch einige Ersatzbäume gestanden hätten, nicht gerade in bester Baumschulqualität, aber doch zum Wegschwerfen zu schade. So konnte Herr KREIBICH Herrn SCHIMMELPFENG schließlich dazu überreden, nebenbei ein paar Süßkirschen auf diese Ersatzbäume zu veredeln. Der Forchheimer Fachberater war so begeistert, daß er spontan die Edelreiser zur Verfügung stellte. Damit war der enge Kontakt zum Landkreis Forchheim hergestellt und die Begeisterung des Praktikers war Initialzündung für die Arbeit eines ganzen Universitätsinstituts.
Ein Name wird gesucht
Wie sollte man eine Unterlage für Kirschen, die aus Weihenstephan kommt, am besten bezeichnen. Nach der Entwicklung der schwachwüchsigen Unterlage für die Süß- und Sauerkirsche war es an der Zeit, einen Namen zu finden, der sich allgemein einprägt und mit Weihenstephan in Beziehung gebracht wird. Es lag nun auf der Hand, daß man die Vorsilbe "Weih" oder "Weihen" vielleicht sogar irgendwie verwenden sollte. Zu vermeiden war allerdings, daß es wie Weihnachten klingt oder nach einer besonders geweihten Pflanze aussieht. Damit war also klar, daß die Vorsilbe auf drei Buchstaben "wei" einzugrenzen ist. Weiunterlage oder Weikirsche waren auch nicht so sehr originell. Wie nun, wenn man sich darauf besänne, daß das Wesen der Unterlage ja eigentlich die Wurzel ist? Wie wäre es mit Weiwurzel oder Weiwurz? An dieser Stelle der Diskussion verzog sich das Gesicht von Prof. FEUCHT zu einer erheiterten Grimasse und spontan waren aus seinem Mund ablehnende Worte zu hören: "Das kommt überhaupt nicht in Frage, sonst gehe ich noch als bayerischer Wurzelsepp in die Geschichte ein"! Nach allgemeinem Gelächter und einigem Hin und Her kam man schließlich auf die Idee, sich etwas moderner auszudrücken und das "neudeutsche" Wort "root" (englisch für Wurzel) zu verwenden. Damit war der Name Weiroot für die Prunus-cerasus-W-Klone als Name geschaffen.
'Weiroot' stärkt die Frosthärte von Süßkirschen
Die untersuchten Prunus-cerasus-Unterlagen vom Typ 'Weiroot' sind sowohl unveredelt als auch in Kombination mit Süßkirschen frosthärter als Klone von Prunus avium F12/1, Prunus fruticosa und 'Colt' und beeinflussen auch die Frosthärte der Edelsorte positiv. In einer speziellen Klimakammer des Weihenstephaner Instituts werden natürliche Klimabedingungen simuliert. Sowohl Tag/Nacht-Temperaturschwankungen als auch die Temperaturdifferenzen zwischen Wurzelraum und oberirdischem Bereich können genau eingestellt werden. Die Abbildung zeigt das Beispiel eines Temperaturprogramms einer der Natur nachempfundenen Frostperiode.
Relative Austriebsintensitäten der Unterlagen nach der Frostung
F12/2 | 0 |
Colt | 0 |
Stockton-morello | 36 |
CerW4 | 49 |
CerW18 | 68 |
CerW14 | 56 |
Fructiosa | 50 |
CerW17 | 56 |
100-Fruchtgewichte, 100-Steingewichte und Trockensubstanz der "Schattenmorelle" in Abhängigkeit von den Unterlagen
Unterlage | 100-Fruchgew. | 100-Steingew. g | TS % |
P. avium | 727,2 | 31,2 | 11,9 |
P. mahaleb | 487,2 | 22,2 | 12,5 |
Wurzelechte | 635,8 | 28,8 | 11,9 |
CerW 8 | 596,4 | 28,8 | 10,9 |
CerW 10 | 591,5 | 28,8 | 12,6 |
CerW 11 | 538,7 | 28,8 | 12,5 |
CerW 13 | 539,7 | 25,7 | 11,1 |
CerW 14 | 676,7 | 33,4 | 12,2 |
CerW 15 | 550,4 | 26,0 | 11,1 |
'Weiroot' verändert die Inhaltsstoffe der Edelsorte
Die verwendete Unterlage wirkt sich bei Sauerkirschen auf die Qualität der Früchte aus. Anhand von Früchten der Sorte 'Schattenmorelle', die auf verschiedenen Unterlagen standen, konnte das am Lehrstuhl nachgewiesen werden.
Titrierbare Säuren, Vitamin C, Zucker, Anthocyane und Blausäure der Sauerkirsche "Schattenmorelle" in Abhängigkeit von den Unterlagen
Unter-lagen | Säuren in g Apfels. /100 g TS | Vitamin C mg/100 g TS | Glucose % TS | Fruc-tose % TS | Gesamt-zucker % TS | Antho-cyane mg/100 g | Blaus-äure mg/kg Steine |
P. avium | 11,70 | 103,0 | 38,94 | 26,80 | 65,73 | 376,3 | 48,92 |
P. mahaleb | 9,65 | 79,1 | 36,08 | 24,50 | 60,58 | 412,0 | 63,36 |
Wurzelecht | 11,22 | 92,0 | 40,96 | 29,29 | 70,25 | 383,8 | 34,05 |
CerW 8 | 11,44 | 108,3 | 37,33 | 25,36 | 62,69 | 496,0 | 43,71 |
CerW 10 | 10,97 | 91,3 | 40,46 | 28,15 | 68,61 | 396,3 | 56,29 |
CerW 11 | 10,03 | 99,0 | 40,04 | 26,01 | 66,05 | 526,3 | 51,86 |
CerW 13 | 10,99 | 117,2 | 40,50 | 26,46 | 67,21 | 453,3 | 42,67 |
CerW 14 | 9,41 | 92,0 | 38,55 | 24,18 | 62,73 | 419,0 | 46,72 |
CerW 15 | 10,23 | 93,8 | 40,89 | 26,03 | 66,90 | 422,5 | 68,10 |